Wie jede Woche sitze ich vor meinem Laptop und überlege, worum es in dem kommenden Locstories-Artikel gehen soll. Etwas unterhaltsames, vielleicht über Frisuren? Frühlingsfrisuren für Dreads? Dreadstyles für Festivals? Bestimmt, die stehen noch auf meiner Liste. Und vielleicht gibt’s schon nächste Woche einen Artikel über Frisuren für Dreads. Aber heute nicht. Ich bin sauer. Und ich glaube nicht, dass es grad die Zeit ist, eine öffentliche Stimme nicht zu nutzen. Lasst uns also über unsere Körper sprechen. Über die Freiheit, über den eigenen Körper zu bestimmen.
Sweet home, Alabama
Die Geschichte der Enteignung der Frau reicht weit zurück, so dass ich gar nicht genau weiß, wo ich anfangen soll. Vielleicht bei den Suffragetten des 20. Jahrhunderts. Frauenrechtlerinnen organisierten sich, um für das Frauenwahlrecht in Britannien und den Vereinigten Staaten zu kämpfen. Durch passiven Widerstand, Hungerstreiks und Demonstrationen gelang es ihnen, auf sich und ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Fun Fact: eine Form des Protestes war das Rauchen in der Öffentlichkeit. Denn Rauchen in der Öffentlichkeit war bis dahin etwas, was den Männern vorbehalten sein sollte. Gut, rauchen ist jetzt nicht das non-plus-ultra. Wichtiger war das Wahlrecht für Frauen, das Recht auf ein Studium, Selbstbestimmung. Diese Ära wird als die erste Welle des Feminismus bezeichnet. Die zweite Welle findet in den 60er Jahren in Westdeutschland und westlichen Staaten statt. Erneut geht es um die Gleichberechtigung und darum, dass der Körper einer Frau der Frau selbst gehören muss. Denn zu dieser Zeit war es beispielsweise legal, wenn der Mann die Frau in der Ehe vergewaltigte. Das nannte sich „Ehepflicht“. Völlig verboten waren Abtreibungen. Gynäkologische Untersuchungen fanden ausschließlich durch männliche Ärzte statt (dass es sich um CIS-Männer handelte, muss ich nicht erwähnen) und die Nebenwirkungen der Antibabypille waren nicht nur enorm, sondern auch völlig im Grauen gehalten.
Machen wir einen Zeitsprung zum Jahr 2019. Nachdem sich Frauen über Jahrzehnte eingesetzt haben, Leib und Seele riskiert und öffentliche Diffamierungen in Kauf genommen haben, hatten sie zwischenzeitlich das Recht, abzutreiben. Nicht überall auf der Welt, sondern besonders in westlichen Staaten. Man könnte meinen, dass wir immer weiter schreiten, hin zur Gleichberechtigung. #metoo und #timesup bringen immer mehr Aufmerksamkeit auf die noch heute bestehenden Ungerechtigkeiten. Auf sexuelle Gewalt, Übergriffe und auf den täglichen Sexismus. Ganz ehrlich, ich dachte fast, dass es nun endlich einen Durchbruch geben könnte. Bis einige Männer beschließen, dass es so weit sei, zumindest in einem amerikanischen Bundesstaat die Zeit zurück zu drehen: der Senat in Alabama hat ein Gesetz verabschiedet, das die Abtreibung gänzlich verbieten soll. Auch bei Vergewaltigung und Inzest. Nur wenn das Leben der Frau bedroht ist, darf eine Abtreibung vorgenommen werden.
Jetzt mag man denken: „Ok, aber das ist ja in Amerika. Die haben grad ohnehin einen am Brett. Der Präsident grabscht schließlich selbst gern nach Pussies, wie soll es sich da schon entwickeln?“. Aber wenn man den Blick dann auf die kommenden Europawahlen richtet, sind auch wir nicht so weit davon entfernt, wie wir glauben wollen.
Selbstbestimmungsrechte über den eigenen Körper
Ich werde nicht den Partei-Namen erwähnen, da ich der blauen aka braunen Ideologie keinen Zentimeter Plattform in meinem Artikel geben werde. Und doch ist es so wichtig zu erwähnen, dass diese Partei ebenfalls gegen die Abtreibung und damit gegen die Selbstbestimmung der Frau über ihren eigenen Körper ist. Es wird davon ausgegangen, dass eine öffentlich zugängliche Information über Abtreibungen dazu führen würde, dass sie als „normale medizinische Dienstleistung“ gesehen wird (ein Zitat von der Webseite). Das impliziert nicht nur, dass es ein „unnormaler“ Eingriff und somit auf irgendeine Weise verwerflich sei, sondern auch, dass Menschen mit einem Uterus mal eben so, aus Lust und Laune, eine Abtreibung vornehmen würden. Dass solche Verbote aber beispielsweise auch Vergewaltigungsopfer einschließt, Menschen während ihrer Transition, also der Umwandlung von einem weiblichen zum männlichen Körper, und besonders Menschen dazu veranlasst, höchst riskante, illegale Eingriffe vornehmen zu lassen, wird dabei gekonnt wegignoriert. Die psychische und physische Gesundheit von Menschen mit Uterus soll wieder dahin zurückgebracht werden, wo sie „traditionell“ hingehören: hinter den Herd, mit Kindern am Rockzipfel.
Die Schwangerschaft wird dadurch zu einem Machtinstrument. Der Eingriff in die Selbstbestimmung über den eigenen Körper normalisiert.
Freiheit der Individualität
Die Freiheit zu haben, Dreadlocks zu tragen, mich zu tätowieren, offen queer zu leben und selbst entscheiden zu können, ob ich Kinder kriegen will oder nicht, ist für mich ein Grundrecht. Die Freiheit zu individuellen Entscheidungen und eine konsequente Gleichberechtigung aller Geschlechter sind für mich Menschenrechte, denen wir eigentlich immer näher gekommen sind. Mich persönlich alarmieren solche Rückschritte wie in Alabama und die bekloppte Diskussion darüber, ob GynäkologInnen öffentlich über Abtreibungen informieren dürfen. Es ist kein Pipifax, kein lustiger „grab them by the pussies“-GIF. Mich alarmieren sie, weil ich meiner Oma zugehört habe, wenn sie davon erzählt, wie „es“ angefangen hat, damals, als die Ethik auf den Kopf gestellt wurde. Ich habe ihr zugehört, wenn sie davon erzählte, wie das war, mit der Pille. Wie das war, wenn Mädchen und Frauen angefasst wurden. Und wie das war, als die Nachbarin schwanger wurde und dann nicht mehr gesehen wurde.
Ich bin unfassbar dankbar für all die Freiheiten, die ich habe. Sie sind ein Privileg, obwohl es Menschenrechte sein sollten. Deswegen klingt das alles vielleicht wie ein Werbe-Spot für die kommenden Wahlen. Aber im Ernst: wie hart wurde für das Wahlrecht gekämpft? Welch ein Privileg haben wir, selbst über unsere Regierungen zu entscheiden? Wie sexy ist bitte wählen?! Selbst mitbestimmen zu dürfen, ob es zurück in die chauvinistische Steinzeit geht oder in eine vielfältige, freie und offene Zukunft.
Dreadlocks sind nicht politisch. Aber ich bin es. Wie gesagt: ich glaube nicht, dass wir in Zeiten leben, in denen wir es uns erlauben können, keine Meinung zu haben. Und meine Meinung ist, das Misogynie, Homo- & Transphobie, Rassismus und die Leugnung des Klimawandels zum Kotzen sind.