Dreadlocks sind heutzutage im alltäglichen Leben angekommen. Selbst in einer kleiner Stadt wie der meinen sieht man Dreadheads – und zwar aller möglichen Form. Von dem Hippie über die Pädagogin und bis zu dem Insta-Fashion-Girl. Doch es gibt einen Bereich, in dem ich Dreadlocks schmerzlich vermisse: auf der Bühne. Und zwar auf einer Theaterbühne. Zwar gibt es mittlerweile viele Shows, in denen Dreadlocks vorkommen, doch die Klassiker sind dreadlos. Daher habe ich mir eine Spezialistin für Dreadlocks auf der Bühne rausgesucht und ein kleines Interview mit ihr geführt. Wie ist das, mit Dreadlocks auf der Bühne zu stehen? Gibt es Nachteile? Vorteile? All das erfahrt ihr in diesem Artikel. Ach ja: meine Interview-Partnerin… bin ich!

Den Dreadlocks eine Bühne! Dreads im „Showbiz“

Judith, danke, dass du dir einen Moment Zeit genommen hast.

Gern! Naja und Zeit genommen kann man das nicht wirklich nennen. Viel mehr lade ich dich, Judith und deine LeserInnen ein in mein kleines Büro.

Büro? Wir sitzen auf einer Treppe zum Technikraum, direkt hinter der Bühne.

Genau. Mein Büro in den letzten Wochen. Hier habe ich das Magazin für die DreadFactory bearbeitet und vor allem viele neue Artikel geschrieben.

Und da draußen, hinter dieser roten Tür?

Genau jetzt betritt Orestes, der Titelheld aus „Oresteia“ die Bühne. Ein griechischer Klassiker mit einer Menge Morden, Blut und Rache.


Klingt nach.. Spaß? Hier hinten im Backstagebereich ist auf jeden Fall viel los.

Ja, wir sind diesmal ein großes Ensemble. Ich glaube 12 oder 13 Leute. Das ist aber nicht immer so und unsere Stücke sind auch nicht immer beklemmend intensiv. Ab Herbst spielen wir zum Beispiel „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ , mit nur vier DarstellerInnen.

Spielst du auch mit? Oder sitzt du nur in deinem „Büro“ und schreibst?

Ich spiele dabei nicht mit und schreibe zuhause. Solche Stücke sind weniger mein Terrain.

Was meinst du damit und warum? Welche Rollen spielst du vor allem?

Um mal auf das Thema zu kommen, nämlich die Dreadlocks: ich spiele Rollen, bei denen es möglich ist, Dreadlocks zu tragen. Das sind vor allem Tanzstücke. Dabei haben nur leider manchmal meine MittänzerInnen das Risiko, von meinen Dreadlocks geschlagen zu werden. Ich entferne vorher den Metallschmuck, um die Verletzungsgefahr zu minimieren. Ansonsten sind es vor allem bearbeitete Klassiker wie von Shakespeare oder den Griechen, in denen ich besetzt werde.


Fallen Dreadlocks sonst zu sehr auf?

Es ist tatsächlich etwas schwieriger. Meistens können die Dreadlocks gut im Gesamtbild einer Rolle „versteckt“ oder sogar eingebaut werden, wie bei dem Waldgeist „Puck“ aus „Ein Sommernachtstraum“ oder „Feste“ in „Was ihr wollt“. In „Titus“ konnte ich gut eine Hochsteckfrisur tragen. Jetzt, in der „Oresteia“, trage ich tatsächlich eine Frisur, die auch beim Tanzen hält. Als Iphigenie, um genau zu sein. Aber in modernen Stücken ist es schwieriger. Theater arbeitet meistens mit Stereotypen. Und Dreadlocks sind oftmals typbehaftet.


Was meinst du damit?

Es werden vor allem Hippies oder Rastafarians oder eben Freaks mit Dreadlocks dargestellt – so ist jedenfalls mein Bild von Dreadheads in den Medien. Mit der Realität hat das eher weniger zu tun, aber es ist ein Typ Mensch, den man darstellen und mit der Frisur unterstreichen möchte. Deswegen muss man auch auf der Bühne vorsichtig sein und sich vorher genau überlegen, wie die Rolle wohl gesehen werden kann.

Aber es gibt doch Perücken? Kannst du keine tragen?

Abgesehen davon, dass ich dann noch immer viele Tattoos habe, die man verstecken möchte, wenn man nicht auch hier einen Archetypen bedienen will (wobei das mittlerweile schon viel besser klappt! Also dass Tattoos auf der Bühne akzeptiert und nicht kategorisiert werden), sind die Dreads einfach zu lang. Ich hatte vor zwei Jahren das letzte Mal eine Perücke auf und musste sie mit einem Haarband und einem Perückenband bändigen. Da kam dann noch die Perücke drauf, ein Lockenkopf, da mein Kopf sonst überproportional groß ausgesehen hätte – das war einfach unfassbar heiß (also im Sinne der Temperatur) und kratzig. Mittlerweile sind die Dreadlocks lang, zu lang, um sie unter irgendwas zu kriegen. Wenn man also eine Karriere auf der Bühne oder im Film anstrebt und nicht immer nur den „Dreadhead“ spielen möchte, sollte man sich gut überlegen, ob man Dreadlocks tragen möchte. Aber ich persönlich finde es wichtig, dass auch Menschen mit Tattoos und Dreadlocks auf der Theaterbühne stehen. Schließlich sind sie keine Ausnahmen mehr und wenn man ein reales Stück spielen möchte, sollte es auch der Realität entsprechen. Generell bin ich dafür, manchmal auch einfach das Klischee zu brechen.

Kunst und Theater dürfen durchaus auch herausfordern. Sei es, dass mit Genderrollen gespielt wird oder mit Archetypen. Auch Dreadlocks in den Medien würde ich mir breit gefächerter wünschen.

Hast du dich also irgendwann bewusst dazu entschlossen, deine Locs zu behalten?

Ja. Nach der Perücken-Aktion vor zwei Jahren musste ich mir Gedanken machen, wohin meine Reise auf der Bühne noch gehen soll. Und in wie weit das mein Privatleben, also auch mein Äußeres beeinflussen soll. Ich verzichte beispielsweise (noch) bewusst auf gewisse Tattoos, beispielsweise auf den Händen, die zu auffällig wären. Auch in Tanzstücken ist man öfter leichter bekleidet, hier „stören“ Tattoos meistens weniger, aber ich möchte auch nicht, dass das Publikum darüber nachdenkt, was das wohl da auf meiner Hand ist.

Tut das Publikum sowas?

Durchaus. Es kommt vor, dass ich nach Vorstellungen auf meine Tattoos oder Dreadlocks angesprochen werde. Das kann unangenehm sein, denn auf der Bühne bin ich schließlich nicht als Privatperson. Wenn ich dann aber die Bühne verlasse, gehören mein Körper und damit auch mein Äußeres wieder in meine Privatsphäre. Deswegen denke ich darüber nach, wie viel privates, also Tattoos, ich zeigen möchte. Aber auch die Dreadlocks sind, wie gesagt, sehr einschränkend. Ich habe mich für das freie Wachsen meiner Dreads und gegen verschiedene Rollen entschieden.


Also sind Dreadlocks für die Bühne ein Nachteil?

Das kommt drauf an. Ich habe es schon einfacher, da ich nun keine Perücken mehr tragen kann. Ich habe schon vorher Perücken nicht leiden können und nun sind sie aus dem Spiel. Aber auch nach einer Vorstellung: man sieht, wenn der ganze Glamour weg ist und die Scheinwerfer aus sind, aus wie aus dem A**** gezogen, um es mal ganz ehrlich zu sagen. Einfach fertig. Ich persönlich habe dann wenigstens noch schöne Haare.

Es kann aber auch schwierig sein. Denn auf der Bühne kommen manchmal die krudesten Dinge zum Einsatz. Wie Mehl. In „Le Sacre du Printemps“ haben wir mit Mehl geschmissen. Nach fast 60 Minuten tanzen floss mir der Schweiß quasi nur so vom Körper. Gemeinsam mit dem Mehl ergab das einen echt fiesen Teig in meinen Dreads. Und ich konnte sie nicht immer waschen, da wir manchmal mehrere Tage hintereinander Proben und Aufführungen hatten und ich erst gegen 23/24 Uhr zuhause war. Also musste ich sie absaugen und ausklopfen, wie einen alten Teppich.

Kunstblut und Fettschminke sind auch nicht so toll in den Dreadlocks, allerdings sind das alles auswaschbare Substanzen, die dann spätestens am Tag der letzten Aufführung gehen müssen. Zwischendurch riecht man halt nach Kunstnebel, fremden Schweiß und Make-Up-Resten. Das gehört dazu. Anfangs war ich noch pingeliger mit meinem Dreadlocks. Aber die haben mittlerweile schon echt viel durch, daher weiß ich, dass sie mehr aushalten, als man denkt.

Wie lange machen deine Dreadlocks das denn schon alles mit?

Also diese Dreads sind jetzt sechs Jahre alt, davor hatte ich bereits zweimal Dreads – ich habe sie nicht abgeschnitten, denn man kann Dreadlocks auskämmen! Aber ich habe damals den Fehler gemacht, dass ich eine Filznadel benutzt habe. Bei einem Tanzstück sind mir dann Dreads abgerissen, da sie zu dünn waren. Lesson learned!

Last but not least: erzähl noch kurz ein bisschen über das Theater und was du, neben dem Tanzen und Spielen, dort machst.

Wir sind ein freies Theater, das neben Schauspiel- und Tanzstücken auch Musicals und Musikabende im Programm hat. Künstlerisch geleitet wird das Theater seit über 15 Jahren von André Decker, seit knapp zehn Jahren bin ich im Vorstand - vor allem für Netzwerk und Projekte zuständig.

Vielen Dank, Judith, dass du uns in dein Büro und Theater eingeladen hast!

Sehr gern, Judith! Um noch ein wenig Werbung anzufügen: besucht mich und das Theater in Unna, auf Instagram oder Facebook.
Einfach www.theater-narrenschiff.de eingeben!

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