Es war einmal ein Dreadhead von zarten 15 Jahren…
So oder so ähnliches könnte man die Geschichte der DreadFactory zu erzählen beginnen. Auf unserer About Seite könnt ihr bereits über Bines Motivation, die DreadFactory zu gründen, lesen.
Aber ich wollte wissen: wie ist das so, als Frau ein „off-side“-Business zu gründen? In einer Hippie-Umwelt. Was waren die Hürden? Erfolge? Wohin soll es gehen mit der DreadFactory? Deswegen habe ich mich ganz weihnachtlich mit Bine zum Plätzchenbacken und schnacken getroffen, dabei zu viel rohen Keksteig gefuttert (habe ich erwähnt, wie toll ich vegane Teige finde? Man muss keine Angst um Salmonellen haben. So gut!) und hinter die Kulissen der DreadFactory geschaut.
Dreadlocks: Zwischen Hippies und Business
Danke Bine für die Einladung in deine Küche.
Danke für´s Kommen! Und vor allem: danke für´s Helfen!
Wir befinden uns in einem Haufen Mehl und Zucker und backen grad die vierte Ladung Kekse. Wozu brauchst du so verdammt viele Kekse?!
Für das DreadFactory-Team. Jedes Teammitglied bekommt zu Weihnachten eine kleine Tüte Plätzchen, als Dankeschön einfach. Für mich gehört das irgendwie dazu, es hat etwas familiäres. Wir sind zwar alle miteinander in Kontakt, einfach über Facebook, Instagram oder private Treffen, aber dadurch, dass wir auf der ganzen Welt verstreut sind, kommen wir nicht so häufig zusammen, wie wir es gern hätten. Bei unseren Gatherings, die wir bisher teamintern veranstalten, ist es dann wie ein großes Familienfest. Manche verlieben sich, andere streiten sich und die meisten knuddeln und pflegen sich gegenseitig. Also die Dreadlocks. Du hattest doch einen Artikel über die Bonobos geschrieben. So ähnlich kann man sich das vorstellen. Super viel Dreadliebe auf einem Haufen. Nur ist es mit über 50 Teammitgliedern eben eine sehr große Bonobo-Familie und dadurch sehr viele Plätzchen und deswegen freue ich mich natürlich über die Hilfe.
Klar. Gern! Waren es denn schon immer so viele Teammitglieder oder hätte ich lieber ein paar Jahre früher zum Helfen kommen sollen?
Gar nicht. Ganz zu Beginn der DreadFactory habe ich mit meinen engsten Freunden angefangen. Die Basis, die heute noch steht. Und das ganze ist dann nach und nach gewachsen. Aber du kannst dich schonmal drauf einstellen, die kommenden Jahre Plätzchen zu backen, denn das Team wächst!
Du hast während deiner Schulzeit angefangen, Dreads zu machen und schließlich auch Techniken verfeinert, weiterentwickelt und andere angelernt. Hättest du damals gedacht, dass die DreadFactory mal Europas größtes Team an professionellen DreadstylistInnen wird?
Der Traum war schon irgendwie da, aber so richtig geglaubt habe ich es nicht. Besonders während der Schulzeit hört man ja oft, dass man „was richtiges“ machen muss. „Was sicheres“, wenn man „mal groß“ ist. Ich habe häufig gehört, dass dieses Dreadlocks-machen nichts Anständiges sei und habe mir das irgendwie deswegen lange einreden lassen. Da kommt man dann nicht auf die Idee, so weit damit zu kommen.
Es war vermutlich auch schwer, keinen direkten Vergleich zu haben. Ein so großes Team aufzustellen ist, soweit ich weiß, einmalig im deutschsprachigen Raum. Und mittlerweile gibt es auch schon den ersten Standort und erste Ausbildungen in Australien.
Genau. Ich hätte mir zwar von vergleichbaren Konzepten ein wenig abschauen können, aber da war eben das Besondere, dass das professionelle Erstellen von Dreadlocks mit Qualitätsstandards aus einer Subkultur heraus entstanden ist. Mich hat zu Beginn kaum jemand wirklich ernst genommen. Im Gegenteil. Ich sollte, so die Ratschläge, lieber „unprofessionell“ wirken, damit ich meine Zielgruppe anspreche. Das war natürlich völliger Unsinn. Aber das war und ist eben der Spagat, den wir versuchen zu machen: hohe Professionalität und trotzdem den Spirit nicht verlieren. Business und Hippiedasein.
Und ja, auf Australien bin ich schon ein wenig stolz. Das ist echt super. Bec hat im Herbst 2018 angefangen und ist wirklich großartig. Es macht unheimlich viel Spaß zu sehen, wie die Leute auch in der DreadFactory wachsen und sich ausleben.
Das hört sich tatsächlich toll an. Allerdings bleibe ich grad ein wenig daran hängen, dass man dir geraten hat „unprofessionell“ zu wirken. Um genau zu sein, macht mich das etwas wütend. Ist es nicht bei einer Neugründung genau das Gegenteil? Dass man Start-Ups versucht zu motivieren und sowohl mit Know-How als auch finanziell bei der Startphase zu helfen?
Ja, eigentlich schon. Ich nehme an, dass sich die wenigstens etwas darunter vorstellen konnten. „Professionelle Dreadlockerstellung und -Pflege“. Bis dahin galten Dreads irgendwie noch als schmuddelig. Wie sollte das also professionell aussehen? Und vor allem noch „diese Hippies“. Es gab eine Menge Gegenwind. Leider auch aus der Szene.
Der Dreadlockszene?
Es hat nicht wirklich lang gedauert, bis ich damals meinen ersten Shit-Storm abbekommen habe.
Worum ging es in solchen Shit-Storms?
Meistens wurde ich tatsächlich einfach persönlich diffamiert und unter der Gürtellinie beschimpft. Wie gesagt entstand die Dreadlockerstellung aus einer Subkultur heraus. Das haben einige in den falschen Hals bekommen. Schließlich ging es nicht darum, etwas Alternatives zu kommerzialisieren, sondern einfach eine Dienstleistung anzubieten, die gewisse Standards mitbringt – und das im Sinne der KundInnen. Ich finde es beispielsweise nach wie vor super, dass wir so viele freie DreadstylistInnen in Deutschland haben. Denn alle KundInnen haben einen ganz persönlichen Anspruch an die eigenen Locs, die Atmosphäre während der Erstellung oder Pflege und Begleitung nach dem Termin. Bei der DreadFactory gibt es gewisse Standards, die jeder Standort einhalten muss und sich dennoch natürlich individuell entfalten kann und auch soll.
Aber auch als Frau musste ich mir einiges gefallen lassen. Die meisten Kollegen waren und sind Männer und man hätte eigentlich ganz klischeehaft gedacht, dass es vielleicht „Gehate“ seitens der weiblichen Kolleginnen gegeben hätte. Aber tatsächlich waren die Initiatoren solcher Shit-Storms Männer.
Glaubst du, dass es ein Mann in deiner Position einfacher gehabt hätte?
Auf jeden Fall. Ich finde es sehr schade, dass man als Frau noch sehr schnell merkt, dass man eben nicht die gleichen Chancen hat, wie die männlichen Kollegen. Einem Mann gegenüber hätte es vermutlich nicht solche Shit-Storm gegeben. Man traut sich das einfach nicht. Während ein Mann als „cooler Typ mit Sinn für´s Business“ angesehen wird, ist man als Frau (Zitat) „eine karrieregeile Schlampe“. Auch während des Studiums fällt es einem einfach auf.
Trotzdem heißt das nicht, dass es Männer unbedingt einfacher haben. Wir haben mit anderen Problemen und Hindernissen zu kämpfen. Ich glaube, dass viele Männer unter dem Erfolgsdruck leiden, bzw. unter der Definition von Erfolg.
Aber es ist eben auffällig, wie schnell man als Frau desillusioniert wird, wenn man glaubt, dass man die gleichen Chancen hätte.
Irgendwann, als die DreadFactory größer wurde, musste ich mich auch entscheiden: mache ich noch „was richtiges“ oder ist das „mein richtiges“? Und da musste ich mir auch die Frage stellen, ob ich trotz Gegenwind und dieser Chancenungleichheit weitermache.
Offensichtlich hast du weitergemacht. Warum hast du es durchgezogen?
Vor allem aus Leidenschaft. Ich liebe Dreadlocks. Es gab aber auch keine andere Option. Die DreadFactory war von Beginn an professionell, schon bevor ich es überhaupt wirklich auf dem Schirm hatte. Aufgeben war nicht drin. Schneller als ich dachte, waren viele Leute von meiner Arbeit abhängig, davon, dass ich weitermache und vor allem, meinen Job gut mache.
Kurze Zwischenfrage: was genau ist dein Job?
Ich sorge dafür, dass die DreadstylistInnen ihren Job machen und unbeschwert Locs erstellen oder pflegen können. Ohne sich dabei im Bereich Marketing, IT oder Shop auskennen zu müssen.
Okay, danke. Weiter im Text bitte.
Jedenfalls musste ich unbedingt die erste Person sein, die die DreadFactory ernst nimmt. Es gab und gibt zum Beispiel auch Alleinerziehende Elternteile, die von dem Job ihre Familie versorgen. Ich würde es als absolut inakzeptabel finden, wegen „Lästereien“ oder „Gegenwind“ zu schmeißen und damit das Vertrauen, dass diese Menschen in mich setzen, zu verraten.
Gab es denn einen Moment, an dem dir klar wurde: das hier ist „mein richtiges“?
Ich war zu einem Beratungsgespräch bei einem Prof meiner Uni und es ging um meine Bachelorarbeit. Irgendwann sagte er zu mir: „Frau Hartke. Hören Sie auf, sich zu viele Gedanken um die Uni zu machen und legen Sie alles in Ihr Unternehmen!“. Ich war erstmal baff und dann hatte ich auch irgendwie Sorge, die DreadFactory als Unternehmen zu sehen. Von wegen „kapitalistische K*ackschei*e“ und „karrieregeile Schlampe“. Dann dachte ich aber fuck it. Ja, ich leite ein Unternehmen und zwar ein erfolgreiches. Die Shit-Storms sind die besten Indikatoren dafür.
Erst wenn man wichtig genug ist, wird man zur Zielscheibe.
Genau. Du weißt, dass du was richtig machst, wenn andere versuchen, es dir madig zu machen oder sogar wegzunehmen. Schon im ersten Jahr gab es Leute, die versucht haben, mein Konzept zu kopieren. Manchmal lese ich auch bei Social Media Plattformen von „schlechter Arbeit von DER DreadFactory“. Ohne Namen zu nennen. Damit wird jedes Teammitglied in den Dreck gezogen. Das macht mich schon wütend, zumal eben die Leute, die damals mit mir angefangen haben, noch immer im Team sind. Es sind alles wunderbare Menschen und DreadstylistInnen, die echt für ihren Job leben. Wenn man dann weiß, dass solche „schlechten Meinungen“ auch gern mal von abgelehnten BewerberInnen stammen, ist das schon bitter.
Trotzdem würde ich für nichts tauschen wollen. Die Leidenschaft für die Dreadlocks und das Team motivieren mich einfach immer wieder.
Wir haben beispielsweise auch Team-Events, bei denen wir am Lagerfeuer sitzen und nach Workshops einfach zusammen entspannen und uns austauschen. Das hilft mir ungemein, den Rückhalt meines Team zu spüren und auch zuhören, wie sehr sich sogar unsere Kunden mit uns verbunden fühlen. Das macht mich einfach happy und inspiriert mich. Es ist über die Jahre ein Tribe entstanden. Denn nicht nur ich kann auf mein Team bauen, sondern auch die Mitglieder aufeinander und die Kunden auf uns. Genauso spüren wir alle auch die Unterstützung in Form von Lob, kleinen Dankeschöns und Fotos von den Dread-Entwicklungen von den Kunden und Kundinnen.
Ich werde auf gar keinen Fall nächstes Jahr auch noch für alle KundInnen Plätzchen backen. Just saying.
Haha, nein. Oh Gott. Aber wir versuchen schon, unseren KundInnen kleine Specials zukommen zu lassen und planen auch für die nächsten Jahre vielleicht was Feines.
Ich mag feine Sachen. Willst du mehr darüber sagen?
Nein. Aber 2020 feiert die DreadFactory das große 15-jährige Jubiläum und das möchte ich mit der gesamten DreadFactory Familie - Teammitgliedern und KundInnen - feiern.
Okay, ich bin gespannt. Gibt es denn noch weitere Träume und Ziele, die du verfolgst?
Immer. Mit der DreadFactory in Australien möchten wir natürlich durchstarten. Das ist ein sehr greifbares Ziel, denn die ersten KundInnen haben bereits ihre Dreadlocks bei Bec erstellt bekommen. Mein Traum ist es vor allem, dass es weiterhin so flauschig läuft. Ich bin wirklich super dankbar für das tolle Team und die ganzen Menschen, die die DreadFactory und die Idee dahinter lieben. Es ist schon ganz witzig, wenn man sieht wie viele KundInnen mittlerweile ihren eigenen Standort eröffnet haben und selber Dreadlocks machen. Wie genial ist das denn bitte? Die Familie wächst und was schöneres kann ich mir nicht vorstellen.
Aber ganz konkret möchte ich mir nächstes Jahr einen kleinen Traum, den ich bereits bei der Gründung der DreadFactory hatte, erfüllen. Aber auch das wird noch nicht verraten.
Geheimnisse über Geheimnisse. Man würde meinen, du hättest einen Master in Marketing und Kommunikation gemacht.
Ich würde behaupten, da hast du Recht.
Zum Schluss würde ich gern nochmal das Thema Feminismus aufgreifen. Du bist sehr jung in diese Welt von „Neugründung“ und „Unternehmen“ eingestiegen. Was würdest du, besonders jungen Frauen, raten?
Stell dich auf Gegenwind ein, aber sei diejenige, die am meisten an dich glaubt. Man wird dich unterschätzen, aber das ist okay, weil du hinterher alle überrascht. Du hast eine Meinung, die du vertreten musst und es wird oft hart werden. Manchmal heulst du drei Stunden auf dem Küchenboden und das ist okay, solange du danach weitermachst, weil deine Idee etwas Wert ist.
Mega! Vielen Dank für deine Zeit und den Keksteig. Ich klaue mir jetzt noch ein paar Kekse und dann…
Packen wir die Kekse ein.