Du kennst bestimmt den Moment, wenn du über die Straße gehst und dir ein anderer Dreadhead entgegenkommt. Man lächelt sich automatisch an. Man nimmt sich wahr. Natürlich besteht da dieser kleiner Hang zum Vergleich, aber vor allem ist da dieser Blitz des Wiedererkennens: man trifft sich außerhalb einer Norm und hat deswegen zumindest schonmal eine Gemeinsamkeit. Gibt es also so etwas wie einen „DreadTribe“ oder sind wir alle Einzelkämpfer, die lediglich verfilzte Haare haben?

Diversität statt Einheitsbrei

Die Gründe, warum jemand Dreadlocks trägt, sind so unfassbar vielseitig wie die Menschen. Manche tragen Dreadlocks aus politischer Gesinnung und wollen ein Statement setzen, das stets sichtbar ist. Andere empfinden eine Naturverbundenheit durch ihre Dreadlocks, eben wie „Wurzeln“ oder „Äste“ und lieben besonders das natürliche Wachstum von Dreads, ihre Entwicklung, in die man zwar eingreifen kann, aber eigentlich wie einen Garten behandeln sollte: zu viel zerstört die Pflanzen und zu wenig lässt sie eingehen. Das Mittelmaß, das Intuitive kommt für sie durch Dreadlocks zum Ausdruck.

Dann sind Dreadlocks natürlich noch eine fesche Friese. Modisch und wandelbarer, als manch ein Noddy (No-Dreadhead) glauben mag. Viele lieben es, ihre Dreadlocks saisonal mit unterschiedlichen Holzperlen, Edelsteinperlen oder Makrameeperlen, mit Bändern, Tüchern oder Farben zu schmücken. Der Vorteil: man benötigt kein Haarspray und die meisten Frisuren halten komplett ohne Spangen, da man viel mit Knoten arbeiten kann.

Dann gibt es noch den spirituellen Hintergrund von Dreadlocks, der von Kraft und Energie erzählt und den Dreadhead mit einer heiligen Ursprünglichkeit verbindet.

Was es auch sein mag: Neugier, Mode, Spiritualität, Politik. Man schließt sich einer Subkultur an, die von dieser Diversität lebt.

Die Clans – Zoff unter Randgruppen

Nun ist nicht alles Filz was glänzt und auch innerhalb dieser Randgruppe kommt es zu Stunk. Beginnend von der Frage „Wem gehören nun die Dreadlocks?“ und endend dabei „Wer macht denn die besten Dreadlocks?!“. Man könnte fast von „Clans“ sprechen. Einmal die ganzen unterschiedlichen Background-Clans. Da werfen dann die einen den anderen vor, die Dreadlocks zu oberflächlich zu sehen, die wiederum finden alles andere geradezu fanatisch, schließlich „sind es nur Haare“. Aber auch diese Gruppierungen splitten sich nochmal auf in die Art und Weise, wie und wo die eigenen Locs entstanden sind. Ob bei DreadstylistIn oder self-made, jemanden, der „frei“ tätig ist oder solchen, die einer Community angehören. Und 3-2-1 wird Schlamm geworfen, dass man sich fragen muss: warum? Wie kann es sein, dass man jemanden diffamieren muss, weil er oder sie auf eine bestimmte Art Dreadlocks macht. Und damit ist eben nicht die Technik gemeint, sondern die Art des Gewerbes.

Konkurrenz belebt das Geschäft und vielleicht bin ich zu naiv, aber mir erschließt sich der Sinn nicht dahinter, sich gegenseitig schlecht zu machen. Das überschreitet meine Vorstellungskraft.

Aber dieses Phänomen betrifft nicht nur die Dreadlock-Szene. Ich lebe/liebe queer und bin seit meinem 16. Lebensjahr (und bums fühle ich mich dezent alt…) in eben jener Szene unterwegs. Auch hier, in dieser Randgruppe der andersliebenden geht das Gezanke los. Zwischen Bi und Homo, Poly und Offen, femme, butch, Bär, Otter…

Es gibt unterschiedliche Bezeichnungen für unterschiedliche Kombinationen von Aussehen, sexuellen Vorlieben, Gender-Rolle und weiteren Faktoren.

Identität und Abgrenzung

Das ganze tiefer zu ergründen, wäre sicherlich eine spannende Masterarbeit für Soziologiestudenten, aber prinzipiell kann man sagen: all diese Bezeichnungen und Gruppierungen dienen erstmal der Identitätsfindung. Wer bin ich in diesem Wust von Menschen? Wie bin ich? Und wie bin ich nicht? Ich und die anderen. Die anderen sind nochmal anders als ich. Es ist eine natürliche Abfolge von Erkenntnissen. Und in dieser Abgrenzung entsteht dann manchmal das bedauernswerte Bedürfnis, den anderen herabzusetzen. Was letztlich völlig Banane ist, weil jede*r einzelne so besonders ist, dass er/sie sich allein schon deswegen von den anderen abhebt, weil er/sie eine eigenständige Persönlichkeiten besitzt. Es kann unter gar keinen Umständen, egal wie hart jemand versucht jemanden zu kopieren, einen zweiten Menschen wie dich geben. Es gibt auf gar keinen Fall einen Dreadhead mit den gleichen Dreadlocks wie eben jenen, die deinen Kopf schmücken. Deine Locs sind sozusagen dein Fingerabdruck. Sie entwickeln sich völlig einzigartig, denn deine Haarstruktur, deine Kopfhaut, dein Waschrhythmus und dein Shampoo in Kombination mit der Art, wie du deine Dreadlocks wäschst, die Häufigkeit deiner Schwimm-Sessions im Meer, Pool oder in der Sauna sind absolut exquisit, ja ich will sagen: du bist ein Unikat. Jede Dreadlocke von dir ist ein Unikat.

Bevor dich aber nun das totale Gefühl der Vereinsamung auf deinem Du-Planeten überfällt: das tolle daran ist, dass du nicht allein bist. Diese Trennung von „die und wir“ ist vor allem ein Konstrukt. Wie oben beschrieben. Wir sind eine Horde Unikate. Um uns selbst zu definieren unterscheiden und vergleichen wir uns. Aber es bedeutet nicht, dass du dich ausgrenzen musst oder gar in dieser Trennung bleiben musst. Man könnte zum Beispiel die Wertung rausnehmen. Einfach anerkennen, dass die anderen anders aussehen, andere Motivationen haben, Dreadlocks zu tragen und vielleicht sogar einem anderen Clan angehören.

Der DreadTribe

Nehmen wir mal an, wir könnten tatsächlich individuell bleiben und dennoch ein DreadTribe sein. Empfinde nur ich das als etwas schönes? Muss man jeden Menschen dabei gleich mögen? Nö. Ich denke, man kann sich sogar kacke finden. So richtig ätzend. Und dennoch bleibt man ein DreadTribe, der auf Respekt basiert. Besonders Randgruppen sollten anfangen, die Unterschiede zu feiern, anstatt dadurch noch weiter auszugrenzen. Schließlich tragen die meisten Menschen Dreadlocks, weil sie extrovertiert (damit meine ich nicht zwingend laut, bunt und kommunikativ, sondern weltoffen) sind, weil sie eben anders sind. Und in dieser Andersartigkeit findet man zusammen und steht für die Vielfalt in der Gesellschaft ein.

Wenn ihr euch als das nächste Mal auf der Straße seht, schenkt euch einfach ein Lächeln. Egal ob Dreadhead oder Noddy. Denn unterm Strich sind wir alle ein Mensch-Tribe, ob wir wollen oder nicht.

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